Predigt zu Hiob 14,1-6 am 11.11.2018

Predigt zu Hiob 14,1-6 (von Henning Porrmann)

Den Gottesdienst zum Nachhören (Predigt bei ca. Position 23 Min.)

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

Liebe Gemeinde!

Ich habe Glück gehabt, viel Glück gehabt sagt die Frau mit den fröhlich blitzenden Augen, die von Falten umgeben sind, die ihre Augen zu kleinen Sonnen machen. Und dann erzählt sie von den schrecklichen Erlebnissen des Krieges und immer wieder: „ja ich habe viel Glück“ gehabt.

Alle wollen mir was, die wollen nur mein Geld, sagt die andere, die mit den zwei steilen Falten auf der Stirn und lacht dabei immer wieder auf, obwohl es zum Weinen ist. Und so klingt selbst das Lachen aufgesetzt und verbittert.

Ich will mit dem Leben in Verbindung sein, Hoffnung machen und Trost schenken, sagt die Frau, die gerade erst Ihren sechsjährigen krebskranken Sohn und ihren ersten Ehemann, der aus Gram gleich hinterher gestorben ist beerdigen musste.

Sie lacht nicht, der Schmerz spricht aus ihrer Erzählung, rührt mich zu Tränen. Nicht sofort und nicht schnell konnte sie sich dem Leben wieder zuwenden und doch: Sie lässt den Kontakt mit Gott, mit der Kraft des Trotzdem, mit diesem manchmal so unendlich Fernen nicht abbrechen, studiert Theologie und wird Pfarrerin. (Nachzuhören und zu Lesen in der Mediathek des Deutschlandfunkes. Ich stelle Predigt und Link ins Internet.) https://rundfunk.evangelisch.de/kirche-im-radio/deutschlandfunk/am-sonntagmorgen/vom-leidensweg-zum-lebenswegquot-22042011 (aufgerufen am 1.10.2018)

Drei Menschen und ihr Umgang mit dem Leben, mit dem Leid in ihrem Leben. Viele zerbrechen einfach. Vielen zerbricht an ihrem Leiden und Leben der Glaube an das Gute, an das Leben, an Gott. Und andere können nicht anders, als an dieser oft so dunklen und jeder Vernunft entzogenen Kraft des Lebens in allem Leben festzuhalten, auch dann wenn sie Gott ihr Leid entgegen schreien, IHN anklagen, sich auflehnen und so dennoch die Verbindung nicht abreißen lassen.

Einer davon, besonders exemplarisch, besonders eindrücklich beklemmend ist Hiob, der sog. gerechte Leidende, Spielball einer Wette zwischen Gott und Teufel, Opfer eines grausamen Experimentes. Was für ein Gott lässt sich auf so was ein? In der Rahmenhandlung freut sich Gott an seinem überaus gottesfürchten Menschen Hiob, aber der Teufel sagt: Auch dieser Mensch wird dir Gott schnell abschwören, wenn du ihm nur alles nimmst was er hat. Und Gott: Er sei in deiner Hand! Und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Hiob verliert alles: Besitz, Kinder, seine Frau, seine Gesundheit… rechtet mit Gott, schreit, klagt, klagt an, rechtfertigt sein Leben und muss am Ende einsehen, dass er sich der Übermacht Gottes doch beugen muss. Oder dem Leben. Was geschieht geschieht im Guten wie im Bösen. Leben ist Leiden und Freude. In dieser Geschichte schickt Gott alles, das Glück und Lebensreichtum und lässt die Macht des Bösen machen und lässt so Unglück und Zerfall zu.

Die Leute damals dachten: Glück dem, der ein gutes, gottgefälliges Leben führt und Leid dem Menschen, der Gott und Menschen mit Füßen tritt. Das ist bis heute so geblieben: Wie habe ich das verdient? fragen sich viele, die vom Leben gebeutelt sind. Denken, Gott würde sie bestrafen für eine echte, offene oder versteckte Schuld. Suchen die Ursache in irgendeinem Fehler. Ja sogar der Selbstoptimierungswahn suggeriert einem immer mehr: Wer krank wird ist doch selber schuld: Nicht genug gejoggt, nicht ordentlich ernährt, nicht genug auf sich geachtet… kein Wunder, dass der oder die krank wird! Dann bin ich krank und bin auch noch selber schuld daran.

Aber, liebe Gemeinde, das Unglück wird nicht von Gott geschickt als Bestrafung, auch wenn sich das bei Hiob erst mal so anhört. Letztendlich räumt das Buch Hiob in vielen Gesprächen, die Hiob mit Freunden über sein Leid führt, mit dieser Vorstellung auf: Gutes Leben für gutes Leben, schlechtes Leben für schlechtes Leben. Leid, Schmerz, Angst, Depression, Lebensmüdigkeit, Trauer, unfassbare Verletzungen treffen alle Menschen, egal wie gut oder schlecht sie leben. Gott belohnt nicht und er bestraft nicht. Wie sollte ich mich an einen Gott wenden in meinem Schmerz, wenn ich davon ausgehe, dass er die eigentliche Ursache dafür ist? Wie sollte ich ihm vertrauen? Mich bei ihm bergen können? Mit einem solchen Gott will ich ehrlich gesagt nix zu tun haben. Wenn seine Zuwendung bedeutet, dass ich zu leiden habe, dann soll er lieber woanders hinsehen.

Das dachte sich wohl auch Hiob. Seine Worte sind heute Predigttext und ich lese aus der Bibel in gerechter Sprache:

Der Mensch, geboren von einer Frau, kurz an Tagen und satt an Unrast. Wie eine Blume geht er auf und welkt, flieht wie ein Schatten und hat keinen Bestand. Doch noch über den hältst du deine Augen auf und mich bringst du ins Gericht mit dir. Wer gäbe es, dass rein aus unrein kommt, kein Einziger, keine Einzige! Wenn die Tage eines Menschen fest beschlossen sind, liegt die Zahl seiner Monate bei dir; du hast seine Grenzen markiert und er überschreitet sie nicht. Blick weg von ihm und er könnte aussetzen, dass er sich wie ein Tagelöhner seines Tages freuen kann.

Von einem bösen bis ins letzte aufrechnenden Gott der auch noch jeden kleinsten Fehler bestraft und dem Menschen mit seinem eh schon kurzen und harten Leben vorhält wendet sich Hiob hier ab. Schau woanders hin, Gott. - Recht hat er! Erholen könnte sich der Mensch, der fliehen kann, vor diesem Argusauge Gottes, das eifersüchtig und voll hartem „wie du mir so ich dir“ den Menschen ein schlechtes Gewissen nach dem anderen macht.

Aber halt, liebe Gemeinde, während ich das schreibe merke ich, dass dieses verurteilende Denken und jeden kleinsten Fehler mir selbst vorhalten ja auch in mir drin steckt. Dabei bräuchte ich doch eigentlich Mitgefühl für meine Unzulänglichkeiten, meine Schwächen… Wieso ist es so schwer mit sich selbst, wie mit einem guten Freund umzugehen?

Vielleicht hat das auch mit diesem Gottesbild oder diesem Lebensbild zu tun: Gutes wird belohnt, schlechtes bestraft. Punkt. Anders können und konnten sich viele einen gerechten Gott nicht vorstellen. Aber diesem Gottesbild – und Gott ist Gott sei dank größer als alle Bilder, die wir uns von ihm machen – will ich mit Hiob den Rücken kehren.

Einen anderen Gott, einen der Mensch geworden ist, einen der sich mit auf die Straße in den Staub setzt, mir seine Hand auf die Schulter legt und mir und vor allem auch vielen anderen Leidenden sagt: Es ist aber auch schwer das Leben. Ich weiß auch nicht wie es weiter geht und ich habe auch keine schnelle Antwort und kann nur mit dir aushalten. Diesen anderen Gott sehe ich in dem Lied, das wir vor der Predigt gesungen haben. (und jetzt nochmal singen).

Jesus begegnet uns in diesem Lied als Mensch, als menschliches Gegenüber, als Du. Da ist kein Name. Näher bestimmt wird dieses DU, dieses Gegenüber, durch Golgatha und später durch den Kreuzestod. An diesen beiden Haltepunkten wird Jesus von Nazareth erkennbar. Alle anderen beschriebenen Eigenschaften teile ich mit diesem Du: Die Gefühle von Einsamkeit, Leiden, Schmerzen, mich verlassen fühlen von Gott und Menschen. Ich teile mit diesem Du die Sterblichkeit. Ob ich dazu allerdings ja sage, ja sagen kann (wie das DU im Text) oder mich dagegen auflehne, ist mir selbst überlassen. Viele Mystiker sprechen davon, den Schmerz zu umarmen, ihn als Teil des Lebens zu betrachten. Ohne Leid, sagen sie gibt es keine Freude.

Ich bin auch Bruder (oder Schwester), ich bin ein Mensch und Gottes Kind. Ich teile auch, was mir Hoffnung gibt und mich trägt und hält, zumindest habe ich so etwas auch oder sehne mich zutiefst danach. In der Sehnsucht ist etwas da, was noch nicht da ist. Aber wird es mich auch halten und tragen im Leiden? Dann wenn es wirklich darauf ankommt? Und was ist dieser Halt eigentlich? Dieser Halt, dem ich mich nur fragend nähern kann und der doch aufscheint und sich bei der handelnden Person, bei Jesus zumindest auch durch den Tod nicht klein kriegen lässt? Ein großes Dennoch des Lebens und der Hoffnung deutet sich an.

Und dann die Frage nach dem Wo. Wo stirbt Jesus, wo stirbt „der Mensch“, das große Gegenüber, das DU? Draußen vor dem Tor, auf dem Mittelmeer, in den Trümmern zerbombter syrischer Städte, im Jemen, in den wachsenden Wüsten Afrikas auf dürren Feldern, in amerikanischen Highschools, durch Waffen der NRA, in den Synagogen und Konzentrationslagern, in den Schützengräben von Verdun… draußen vor dem Tor? Und mitten in der Welt! überall, auch in mir. Wenn mich meine lieblosen Gedanken selbst verurteilen, wenn ich mich und andere still oder laut beschimpfe, wenn mir Mitgefühl und Liebe zu mir selbst und anderen nicht gelingen will. Wenn ich das Glück einer blühenden Blume nicht sehen kann, weil mich meine Wut über anderes so in Beschlag nimmt, wenn mich meine eigene Trauer, meine Angst, meine Not, meine Krankheit, meine Verletzung, mein Schmerz und mein Leiden nicht mehr loslassen. Draußen vor dem Tor, mitten in der Welt und mitten in mir stirbt der Mensch, das Du, das Du schlechthin, stirbt Gott, wieder und wieder und wieder.

Und noch einmal die Frage, die sich mit Hiob stellt. Geht das, auch im Leid nicht aufhören können oder wollen, nach Gott zu suchen, an Gott festhalten und nach seiner Rolle in Schmerz und Leid fragen? Im Klagen und Anklagen doch die Verbindung halten? Ich weiß nicht genau wie, ich kenne keine Technik und doch geschieht es immer wieder. Ich kann mir nur vorstellen, dass es geht, wenn Gott gerade nicht verantwortlich ist für meine Krankheit und meinen Schmerz und er mir auch nicht im Umkehrschluss mit einem Fingerschnippen die Krankheit wegnimmt. Denn dann müsste diese Welt doch anders aussehen.

Ich kann mir nur vorstellen mich in einen Gott des Lebens zu bergen, der immer wieder sein Leben gegen das Leiden dieser Welt setzt, indem er im Leid an der Seite seiner Menschen ist. Eine Kraft des Lebens, die mich trotz und mitten im Leid, Schmerz, Angst und Not immer wieder zum Leben umwendet, das auch immer über und unter allem Leid noch da ist. Ein Gott der selber ohnmächtig ist und nur seine Liebe zum Leben einbringt, nicht seine Allmacht begegnet mir da am Kreuz.

Ich denke noch einmal an die Frau, die Pfarrerin wurde, nach dem Sohn und Mann gestorben waren. Es ist die jetzige Ehefrau Autors dieses Liedes. Und ich frage nochmal: Im Leiden leben, geht das? Wie hält man das aus? Leben im Leiden? Niemand weiß, wie so was geht und doch gibt der Mensch, der auf Golgatha den Kreuzestod auf sich nimmt den Hinweis, nicht in dem Lied aber doch in seiner Hingabe an Gott, an die Macht und Kraft allen Lebens in allem Leben: „In deine Hände befehle ich meinen Geist“. So auch Elke Drewes-Schulz: Sie nimmt das Schwere, das eigentlich Untragbare an und will sich fortan – wie sie in ihrem Beitrag für den Deutschlandfunk schreibt – mit den wirklich wichtigen Dingen im Leben beschäftigen: mit Tod und Leben; mit Trauer und Freude, mit Abschied und Aufbruch und studiert Theologie, wird Pfarrerin. „Für mich ist es ein Wunder, wie viel Lebenskraft sich damals in mir gegen Tod und Verzweiflung regte.“ schreibt sie.

Leben mitten im Leiden, Vertiefung des Lebens mitten im Schmerz. Nichts, was man Menschen sagen könnte, wenn sie mitten drin stecken und doch gibt es dieses Wunder immer wieder, dass Menschen gestärkt aus Zeiten der größten Not herausgehen und im Nachhinein dankbar von einer Vertiefung ihres Lebens berichten und von einer Kraft, die ihnen zu Teil geworden ist. Vielleicht diese Kraft, von der Otmar Schulz im Lied schreibt, die dem Menschen Jesus dazu verhilft, im Leiden vorzuleben, was wirklich trägt und hält. Eine Kraft des hoffnungsvollen Dennoch die wir uns als Menschen untereinander immer wieder neu vorleben, vorstolpern und weitergeben können, indem wir einander beistehen und an Gott als schöpferischer Kraft allen Lebens und menschgewordene Liebe und heilige Geistkraft festhalten, gegen allen Augenschein. Leben mitten im Leiden. Erhalte mich bei dir was immer kommen mag.

Vielleicht, liebe Gemeinde, werden wir dann auch mal in unseren 90er Jahren mit leuchtenden Sonnen-Augen sagen können: Ich habe Glück gehabt oder vielleicht rückblickend auf unserer eigenen Altersstufe: Ich habe Leben gehabt, auch mitten im Leiden.

Aber das steht alles nicht in unserer Hand und ist dem Verstand nicht zugänglich, erschließt sich unverhofft oder nie. Denn die Lebenskraft Gottes, sein Friede, ist höher als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne, unser Leben und Lieben, unser Fühlen und Leiden in Christus Jesus. Amen

Predigten aus der Schlosskirche

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